Anforderungen an die Führung von Einsatzverbänden heute und vor 50 Jahren
Ein Vergleich der aktuellen Erkenntnisse aus dem Wiederholungskurs 2014 als Kompaniekommandant der Pz Gren Kp 29/4 von Hptm Erich Muff und einer Bewertung aus dem Jahr 1960 von Hptm Kurt Weigelt, welche er in einem ASMZ-Artikel mit dem Titel "Panzer und Panzergrenadiere: Ihre Ausbildung zur Kriegstüchtigkeit unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse und Möglichkeiten" geschildert hat.
"Ziel ist die Schaffung einer kriegstüchtigen Truppe" (Weigelt, 1960): Das muss auch heute noch unser Ziel sein. Nur so sind wir glaubwürdig!
"Die Ausbildung wird durch die Zusammenführung in artreine Einheiten vereinfacht" (Weigelt, 1960): Ausbildung wird heute auf Stufe Kp grundsätzlich artrein betrieben, ganz nach dem Gefechtsgrundsatz der Einfachheit. Eine der wenigen Ausnahmen bildete hier der WK 2014 des Pz Bat 29, wo wir Dank der Initierung von Br René Wellinger (ehemaliger Kdt Pz Br 11) den Kampf im Einsatzverband (Pz und Pz Gren, Seite an Seite) im scharfen Schuss trainierten. Diese Erfahrungen sind ausgesprochen wertvoll und werden in der Folge mit Hilfe von Zitaten von Hptm Weigelt kurz vorgestellt.
Solche artreinen "Ausbildungs-Kompanien (z.B. Pz Gren Kp) bringen es mit sich, dass die Vorgesetzten auf ihre Teilaufgabe konzentrieren und die reine Ausbildung in Bezug auf Handhabung und gefechtsmäßigen Einsatz der zugeteilten Waffen, Geräte und Fahrzeuge bis in alle Details betreiben" (Weigelt, 1960): Machen wir auch heute schwergewichtig. Das ist, was wir besonders gut können.
Nachteil I: "Es handelt sich dabei ausschließlich um artreine Grundausbildung .., bei welcher die für Panzergrenadiere ... wesentlichen Zusammenhänge zur Panzertruppe fehlen" (Weigelt, 1960): Eine gewisse Lücke beim Verständnis des Panzergefechts lässt sich wohl auch heute nicht bestreiten.
Nachteil II: "Es fällt dabei die reale Schulung der Panzergefechtstechnik und damit die Schulung des Führungsapparates weitgehend aus" (Weigelt, 1960): Die Ausbildung der Kader muss jedoch zwingend im Fokus stehen.
"Die organisch zusammengefügte Kampfeinheit wird
dabei gegenüber der ad hoc gebildeten Kampfgemeinschaft immer im Vorteil sein" (Weigelt, 1960)- Verstanden!
"Es genügt aber nicht, diese Mittel zu besitzen; sie müssen auch beherrscht werden. Dabei geht es nicht nur um die rein technische und
formelle Abwicklung. Im Vordergrund steht die Beherrschung der für schnelle Truppen besonderen Befehlstechnik durch die Vorgesetzten, folglich eine bewegliche Führung durch rasche Entschlüsse, eine kurze und verständliche Befehlsgebung" (Weigelt, 1960): Es geht also auch darum, die für die Kader der Panzertruppen charakteristischen Eigenheiten und Anforderungen an die Führung intensiv zu trainieren. Jene Eigenschaften unserer Kader weiter zu entwickeln, die uns besonders auszeichnen, welche uns im Vergleich zu anderen Chefs besonders befähigen und nach denen wir als Kader ursprünglich selektiert wurden. Wir haben ein anderes Ausbildungsbedürfnis, dazu müssen wir wieder vermehrt stehen und eine Kaderausbildung, die diesen Namen verdient, sowie Gelegenheiten zum Üben konsequent einfordern.
"Es ist deshalb von besonderer Wichtigkeit, die Führung bereits in Friedenszeiten immer und immer wieder praktisch zu üben ... " (Weigelt, 1960): Unbestritten!
"Wir müssen uns aber immer vor Augen halten, daß das Ziel unserer Ausbildung die Kriegstüchtigkeit ist. Diese Kriegstüchtigkeit ist nicht erst in einigen Jahren zu erreichen; sie ist vielmehr ein Ziel der Gegenwart. Es ist unsere Pflicht, mit den heutigen Mitteln und unter heutigen Voraussetzungen bereit zu sein, um im Notfall wirkungsvoll eingesetzt werden zu können" (Weigelt, 1960): An dieser Stelle wird der eine oder andere selbstverständlich aufgebracht dagegen halten. Fakt ist jedoch, dass unsere Soldaten sich nach jedem Dienst fragen - und das weiss ich als Kommandant aus erster Hand - ob wir denn mit dem WK-Training, welches wir gerade absolviert haben "wirklich eine Chance hätten", also kriegstüchtig wären (kriegstüchtig muss heute als "gute Tauglichkeit in bestimmter Hinsicht übersetzt werden" - die Frage lautet: "Können wir mit unserer Ausrüstung und unserem Können im Einsatz bestehen?"). Beantworten unsere Soldaten diese Frage negativ, so sinkt die Motivation zum Dienst und die Leistungsfähigkeit der WK-Einheit in den Folgejahren - eine Negativspirale kommt in Gang. Als Kommandant lerne ich daraus, dass uns nicht nur ökonomische und konzeptionelle Effizienzen bei der Planung unserer Wiederholungskurse leiten dürfen. Vielmehr müssen wir zunehmend realistische Szenarien in unsere Trainings einbauen. "Hätte, wäre, würde" und Aussagen wie "das Drassierband symbolisiert eine Sperre" oder Schilderungen eines übermächtigen "alles zu jeder Zeit an jedem Ort"-könnenden Gegners haben keinen Platz. Wir müssen die Realitäten unseren unterstellten erklären können (Sinnvermittlung). Wir als Kader müssen uns also etwas einfallen lassen, damit wir nahe an der Realität bleiben, genau dort, wo auch unsere Soldaten sind. Nur so sind wir glaubwürdig und bleiben zugleich kriegstüchtig.
Zu dieser Zielerreichung eine weitere Notwendigkeit von Weigelt, (1960) zum Abschluss: "Austausch der für die Weiterbildung vorgesehenen Offiziere während den Wiederholungskursen zwischen Leichten Truppen oder Infanterie einerseits und Panzertruppen anderseits, um das gegenseitige Verständnis zu fördern": Ohne Zweifel zwingend nötig. Wir müssen jedoch noch einen Schritt weiter gehen: Alle Kader haben sich konstant weiter zu bilden. Zudem gilt es die richtigen Köpfe zu kennen. Die gemeinsame Weiterbildung und der Erfahrungsaustausch - auch ausser Dienst - sind nach Auffassung der OG Panzer die Pfeiler erfolgreicher Führung im WK und schaffen gleichzeitig auch zahlreiche vorteilhafte Opportunitäten im Zivilen.
Spannend ist zu lesen, mit welchen Herausforderungen sich Hptm Weigelt in der gleichen Position vor einem halben Jahrhundert konfrontiert sah. Viel hat sich in den letzten 50 Jahren geändert, nicht nur die Ausrüstung und die gegnerische Bedrohung, das ist völlig unbestritten.
Unverzichtbar sind jedoch auch heute noch das Training im Verbund bis auf Stufe verstärkte Kompanie und die regelmässige Durchführung möglichst realitätsgetrauer, anspruchsvoller Übungen.
Eine weitere Konstante bleibt: Die Zugführer und Kompaniekommandaten gewinnen noch heute ihre Unterstellten mit den gleichen Führungsgundsätzen wie damals.
All diese Erkenntnisse zusammen geben uns ein gerüttelt Mass an Vertrauen, dass der von uns eingeschlagene Weg zur Ausbildung und zur Führung unserer Unterstellten der Erfolgversprechende ist.
Hier geht's zum Originalartikel "Panzer und Panzergrenadiere: Ihre Ausbildung zur Kriegstüchtigkeit unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse und Möglichkeiten", erschienen in der ASMZ 12/1960.
Herzlichen Dank an die ASMZ und die ETH-Bibliothek (http://retro.seals.ch/)
Hptm Erich Muff, Vizepräsident OG Panzer